Letzte Woche habe ich das Buch erhalten, für das ich vor mittlerweile drei Jahren einen Beitrag schrieb. Das Buch Herzgereist hat mein lieber Freund Jorgos veröffentlicht, mit seinem Verein Freunde der Nächstenliebe. Im Zuge dessen wurde ich gebeten, etwas über mein Reisen in Nepal beizutragen. Dem Wunsch Jorgos bin ich gerne gefolgt und entstanden dabei ist eine Trilogie mit dem Namen: Herzensschule Nepal
Heute möchte ich gerne den ersten Teil dieser Trilogie teilen, mit dem Titel:
Ein Nachmittag.
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....kennst du dieses Gefühl, als ein im Westen aufgewachsener Mensch in einem gefühlt Schuhschachtel-großen Raum zu stehen, der als unbewohnt modrig in die Nase, als abgesplittert-schimmlige Wände ins Auge, und als großes emotionales Fragezeichen in den Verstand dringt und meint: „Bist du dir sicher, dass du hier bleiben möchtest? Du könntest jetzt noch weg!“
Ja, so begann ein weiterer Nachmittag für mich in Nepal. In einem buddhistischen Kloster hoch oben am Berg in den Ausläufern von Kathmandu Valley. Ein Kloster, für das sich jener Teil von mir entschieden hat, der wohl noch einiges lernen wollte.
Es waren viele Infos, die sie mir bei meiner Ankunft gaben; in Nepali-Englisch, und in einer Tonlage und Ausführlichkeit, der sich dem Mönchsein gegenüber der einzigen Frau am Gelände wohl gebührte - flüsternd und äußerst knapp – zB Finger auf das Loch im Boden zeigend und das Wort ‚Toilet‘. Und während sich in mir noch die Frage nach dem Klopapier zu formen versuchte, schien die neuere Information gerade wichtiger zu sein; eine, die ich mir merken sollte: die gemeinsamen Essenszeiten!
Die Mönche verließen den Raum, ich stellte meine Tasche am Boden ab und setzte mich in den Garten um zu atmen. Einatmen, Ausatmen, Ankommen, Realisieren. - *Autsch!* - was war das denn!? ...ein Ball auf mich? Kahl geschorene Köpfe im viel zu großen, orangen Mönchstuch, ihre Hände vor den Mündern, große Augen, lautes Lachen, und dann eine zentrierte Stille während der Verbeugung, als sie den Ball wieder entgegengenommen hatten, ...und dann wieder lautes Gekichere beim Weglaufen.
Aha, Mönche spielen also Fußball. Und Kindermönche sind kindisch.
Es war 17 Uhr – Abendessenzeit. Ziemlich österreichisch pünktlich fand und betrat ich den Saal. Mönche kamen auf mich zu, und gaben mir zu verstehen, dass ich damit beginnen solle, mir vom Speisentisch zu nehmen, denn als Gast solle ich mir zuerst nehmen von dem vor mir Aufgetischten. Mon Dieu! Okay, Suppe. Schüsseln? Hm – ah dort! Suppe. Brot. Okay – ich habe klare Suppe in der Suppenschüssel und ein Brot in der Hand, sehe mich um – unzählig viele Augenpaare neugierig und interessiert auf mich gerichtet – und erkenne den Platz, der mir scheinbar zugewiesen ist. Gefühlt alle Augenpaare in diesem Saal starren mich an, und lachen. Die Kinder lauthals mit dem Finger auf mich zeigend, die jungen Mönche etwas verhaltener, und die Älteren voller Mitgefühl ‚Ja – sie weiß es nicht, dass zuerst das Brot in die Schlüssel gehört und nur mit ein wenig Brühe übergossen wird.‘
Ich empfand es erstmalig in meinem Leben als ein schönes Gefühl, Anlass für Gelächter zu sein, und dabei auch noch selber mitlachen zu können. Es war einfach frei von Herzen heraus ein Lachen über mein Nicht-Wissen; und das mit Recht. Welch Befreiung diese Erfahrung für mein weiteres Leben sein sollte!
Nach dem Abendessen stand noch eine Puja an, von der ich wusste, dass es eine Art des Verehrungsrituals sei, die aber völlig unterschiedlich gestaltet sein könnte. Ich hatte also nicht wirklich Ahnung darüber, was mich erwarten würde. So marschierte ich mit den Mönchen hinauf zum Tempel (welch straffer Zeitplan – und das in einem Kloster!), und habe auch dort relativ rasch zu verstehen gekriegt, wo denn mein Platz sei.
Das, was ich dann erfahren habe, werde ich wohl nie wieder vergessen – zwei Dinge:
Saurer Tee.
Während dieser Puja gingen junge Mönche mit Teekanne und kleinen Schälchen herum und haben allen davon gereicht, so auch mir. In Vorfreude auf den klassisch nepalesischen Schwarztee mit Milch und viel Zucker (und im Winter auch mit einer Prise Pfeffer), hatte ich plötzlich mit massivem Schluckreflex zu kämpfen, als ich erkannte, was sich da auf meiner Zunge geschmacklich entfalten würde: Butter - erkannt an der Ranzigkeit des Geschmacks, und Salz. Ja, richtig, Schwarzer Tee mit ranziger Butter und Salz. Mein gesamtes System wollte es gerne direkterweise sofort wieder loswerden, aber ich war mitten in der Puja und wollte einfach nicht an meinem ersten Abend hier gleich in den Tempel erbrechen.
Für mich war damals zugleich völlig klar, dass ich es nicht schaffen würde, von dieser wertvollen Köstlichkeit etwas stehen zu lassen, und nachdem jegliche Versuche erfolglos durchdacht waren (der einzig stimmige Plan, diese Flüssigkeit mit Taschentüchern aufzusaugen und eingesteckt mitzunehmen scheiterte schlicht daran, dass ich natürlich keine dabei hatte), diese Flüssigkeit irgendwie anderweitig los zu werden, erinnerte ich mich an die grandiose Fähigkeit meines Körpers, die ich dank Omas selbst-zu-pflückenden Brennnessel-Spinat entdeckt hatte: ungeliebte Nahrung so aufzunehmen und zu schlucken, ohne dass auch nur irgendeine Berührung zwischen Essen und Geschmacksnerven provoziert werden würde. Und ja – so am Boden des Tempels sitzend ist es mir tatsächlich gelungen, den Rest dieses Tees mit geschlossenen Geschmacksporen in mich zu ergießen. Das war das eine – die Bekanntschaft mit Saurem Tee.
Und das Zweite – ja, das zweite war die Puja selbst. Unendlichen Rezitationen zu lauschen von etwas, das auf Palmblättern geschrieben stand, von denen jeder Mönch eines in Händen hielt. Die Silben wurde immer monotoner, je öfter es rezitiert wurde, und immer weniger klar, wo etwas beginnt oder endet, bis es letztlich zu einem Gesang überging, zu einer großen Schwingung, einem ganzheitlichen Schwingungskörper, der aus Kinderstimmen gleichermaßen wie aus Männerstimmen bestand, ein Mantra, ein Sutra, einen Vers rezitierend. Mir wurde ganz rauschig, je mehr ich mich diesen Schwingungen hingab, fast wie in Trance versetzt und mich auflösend; einen Teil von mir erstmalig, und einen anderen Teil von mir nicht mehr wahrnehmend; ersteres gefühlt Größeres als ich, und zweites sowas wie ein körperlich-materiell-abgegrenztes Ich. Ich habe meine erste tiefe meditative Erfahrung in einer solchen Puja erlangen dürfen; welch Geschenk das für mich war; welch Berührung, welch Erfüllung, Fülle, Tiefe, Vibration. Wie überwältigend!
Und noch vollkommen trunken von diesem Rausch schlenderte ich in Richtung meinem Schlafplatz, und war dankbar und froh, dort ein Bett zu wissen, auf das ich mich nun einfach fallen lassen konnte; völlig gleich, wie die Wände aussahen oder wonach es roch.
Berauscht und glückselig von dieser göttlichen Erfahrung.
Ach ja, unerwähnt möchte ich natürlich auch nicht lassen, dass am Ende der Puja, der ich mich nach meinem anfänglichen Tee-Drama dann doch noch mit geschlossenen Augen hingeben konnte, mein Schälchen wieder befüllt war.
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Mehr zum Buch Herzgereist, und dem Verein von Jorgos hier.
...und zum Reinschnuppern liegt es auch im Yogastudio auf.
Im Bild: Gebetsfahnen in Lumbini - Buddhas Birth Place.
Love & Sat Nam,
Monika
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